Das Interesse and der Genealogie - der Familienforschung - is ungebrochen

 

Die Suche nach den eigenen Wurzeln

 

Woher wir kommen, wohin wir gehen - diese Fragen haben den Menschen schon seit jeher umgetrieben. Die Suche nach den eigenen Wurzeln erklärt das ungebrochene Interesse an der Familienforschung.

STEFAN FELDMANN

 

Sie kamen aus Lansing, Michigan, aus Newark, New Jersey, aus Brasilien und Belgien, aus Berlin und Paris, aus Rheinach und Stettlen, und alle hiessen sie Storrer. Am 26. Juli 1997 erlebte die Klettgauer Gemeinde Siblingen die Zusammenkunft der Nachkommen des Melchior Storrer, Bürger von Siblingen und Stammvater der weitverzweigten Sippschaft.

Gerufen zum Treffen hatte Wllliam Allin Storrer - kurz Bill genannt - aus Newark, New Jersey. Er hatte sich einst auf die Spur seiner Vorfahren gemacht und in jahrelanger Arbeit nicht nur seinen Stammbaum aufgezeichnet, sondern ist den Verästelungen des Storrerschen Stammbaumes bis in seine kleinste Spitze gefolgt. Zwar mögen nicht alle Genealog/innen solch verbissene Forscher sein, wie der Medienwissenschafter aus den USA, doch das Interesse an der Vergangenheit der eigenen Familie ist nach wie vor ungebrochen.

GUT DOKUMENTIERTE SCHWEIZ

Über 100 Personen jahrlich klopfen auf der Suche nach ihren Wurzeln beiM Schaffhauser Stadtarchivar Peter Scheck an. Eine Zahl, - so zeigt der Vergleich der Jahresstatistiken - die <<gleichbleibend hoch ist>> (Scheck). Rund ein Drittel dieser Anfragen kommt aus dem Ausland, zum grössten Teil aus den USA von Leuten wie Bill Storrer. Als Grundlage für Nachforschungen dienen in der Stadt Schaffhausen die genealogischen Register der alteingesessenen Schaffhauser Geschlechter und - wie anderswo - die Kirchenblücher, die bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen.

Überhaupt ist die Schweiz für Familienforscher/innen ein kleines Paradies. Aus zwei Grunden: Zum einen leistet sich die Schweiz als einziger Staat ein System mit Gemeindeburgerrecht, dessen Ursprung bis ins Jahr 1551 zurückreicht, als die Tagsatzung beschloss, dass jede Gemeinde ihre Armengenössigen selber zu versorgen habe. Dieser Umstand führte dazu, dass die Gemeinden darauf bedacht waren, zu dokumentieren, wer bei ihnen Burger/in is und wer nicht. Zum zweiten is die Schweiz seit den Napoleonischen Kriegen von grösseren Kriegshandlungen verschont geblieben, so dass die Archive weitgehend erhalten sind. Wer beispieslsweis in Deutschland nach Vorfahren sucht, hat es da viel schwerer: Hier wurden in Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges ganze Archivbestände ausgeloscht.

DATENSCHUTZ BEIM STAAT

Ist die Suche nach Urahnen - von aufwendigen Recherchear beiten durch das Personal abge sehen - in den Gemeinde-und Stadtarchiven kostenlos, so bau en sich fur Genealog/innen, die sich mit ihrer Familiengeschich te zwischen 1876 und der Ge genwart beschaftigen, unerwar tet Hurden datenschützerischer Art Hürden auf.

1876 wurden gesamtschweizerisch die Zivilstandsbücher eingeführt und 1929 diese zu Familienregistern zusammengefügt. Diese sind aus Datenschutzgrunden Privatpersonen nicht zugänglich. Geht es allerdings um die eigenen Vorfahren, so kann beim Amt fur Justiz eine Ausnahmebewilligung eingeholt werden. Im Gegensatz zu anderen Kantonen wird diese in Schaffhausen in der Regel problemlos erteilt, wie Raphael Rohner, Ressortleiter Zivilrecht im Amt fur Justiz, erklärt. Allerdings: Die Ausnahmebewilligung kostet 100 Franken und ist auf ein Jahr befristet.

Im Gegensatz zum Stadtarchivar hat Raphaël Rohner nur wenig mit Familienforscher/innen zu tun, die Gesuche um Einsichtnahmen gehen sogar zuruck: 1996 wurden nur gerade vier Bewilligungen erteilt. Der Grund für diese Diskrepanz ist wohl, dass die meisten Familienforscher/innen mit ihren Nachforschungen in der Farnilie, bei Grosseltern oder Urgrosstanten beginnen, die sich wiederum noch gut an ihre Grosseltern erinnern können. Und mit vier, fünf Generationen ist man sehr schnell in der Zeit vor 1876, womit der Gang zum Zivilstandsamt entfällt und statt dessen beim Stattarchiv angeklopft wird.

GESCHICHTE VON UNTEN

Doch was treibt die Familienforscher/innen - unter denen die Altersgruppe der uber 50jährigen dominiert-, dazu, Stunden und Wochen in Archiven zu sitzen, um ihre Vorfahren aufzuspuren? Die Antwort ist einfach: <<Die Leute suchen ihre eigenen Wurzeln, wollen wissen, woher sie stammen>>, erklärt Willi Bachtold, Zivilstandsbeamter der Gemeinde Schleitheim. Eine andere Begründung hat er noch nie gehört.

Die meisten Genealog/innen geben sich mit den grundlegendsten Informationen (Name, Geburts- und Sterbedatum) zufrieden. Völlig falsch, iindet Peter Bahn, ein anerkannter Experte, der im Auftrag von Familien deren Geschichte rekonstruiert. Familienforschung könne sehr viel mehr sein als eine blosse Datensammlung, nämlich <<Geschichte von unten>>.

Viele von uns mögen sich mit Grauen an die Eigenheiten einer verbreiteten Art von Geschichtsunterricht erinnern: Herrschernamen, Jahreszahlen, Schlachtdaten in endloser Folge. Gelehrt wurde vor allem Staatengeschichte. Wie die Menschen früher lebten, wie sie arbeiteten, worunter sie litten, worüber sie sich freuten - all dies fand nur am Rande Erwahnung, die Geschichte derer, die auf der Gesellschaftsleiter unten standen, wurde kaum erforscht. Das hat sich inzwischen geändert, und gerade die Genealogie kann hier wichtige Impulse geben. Die Familie Storrer mag als Beispiel dienen; Bill Storrer hat bei seinen Forschungen erkannt, dass viele der ausgewanderten Storrers durch die pure Not des 19. Jahrhunderts in alle Weltgegenden gertrieben wurden. Sie fanden in Siblingen kein Auskommen, um ihre Familien zu ernahren; was blieb, war der mühsameWeg in ferne Länder - als Schweizer Wirtschaftsflüchtlinge.